Stellungnahme der Rechtshilfe Rapid zu den Vorfällen nach dem Spiel SK Rapid – 1. FC Nürnberg und zur Berichterstattung darüber
Aufgrund der einseitigen Berichterstattung der letzten Tage sieht sich die »Rechtshilfe Rapid« (RHR) veranlasst, zu den Vorfällen nach dem Spiel Rapid gegen Nürnberg am 7. September 2013 ausführlich Stellung zu nehmen.
Es sollte ein friedliches Fest unter Freunden werden. Bei schönem Wetter war die Keißlergasse zur Partymeile erklärt worden, auf der tausende Rapidler und Nürnberger feierten. Auch im Stadion wurde die enge Fanfreundschaft mit Gesängen, einem Fahnenmarsch und Pyrotechnik zelebriert. Aber schon das unverhältnismäßig große und provokativ postierte Polizeiaufgebot bei der Ankunft der Nürnberger Freunde am Bahnhof Hütteldorf verhieß nichts Gutes.
Was aber dann passierte, übertraf alle Befürchtungen: Etwa 45 Minuten nach Spielende rasten plötzlich vier Mannschaftsbusse der Polizei mit Blaulicht durch die friedlich feiernden Menschenmassen der Keißlergasse, um die Anhaltung von sieben Personen zu sichern, die laut Bericht der Pressestelle der Polizei-Direktion Wien vom 18.9.2013 in einer Parkgarage „Videoeinrichtungen manipuliert“ haben sollen. Laut besagtem Bericht wurden die Betroffenen „in der Parkgarage“ angehalten. In einer von derStandard.at am 6.2.2014 übernommenen Aussendung der APA wird die Polizei wiederum mit der Aussage zitiert, im „Parkhaus und auf einem Parkplatz hätten sich 150 Hooligans „zusammengerottet“. Jeder möge sich aufgrund dieser Widersprüche sein eigenes Bild von der Glaubwürdigkeit diverser Polizeiberichte machen und auch darüber, wie diese „Pressearbeit“ der Behörden der Konstruktion des Straftatbestandes §274 StGB Landfriedensbruch Vorschub leisten soll. Tatsächlich fand die Anhaltung eben nicht in der Parkgarage, sondern vor dem Süd-/Osteingang des Hanappi-Stadions in der Keißlergasse statt, und es „rotteten“ sich dabei nicht 150 „Hooligans“ zwecks Gewaltanwendung „zusammen“, sondern es waren seit Stunden tausende Fans in der für den Verkehr abgesperrten Keißlergasse anwesend, um gemeinsam friedlich zu feiern. Dieser Einsatz mündete in einer ersten Konfrontation, im Zuge derer die Polizei zuerst Pfefferspray und Schlagstöcke einsetzte und danach mit Wurfgeschossen attackiert wurde, worauf sich mehrere Beamte ins Stadioninnere zurückzogen.
Kurze Zeit später kam es im Inneren des Stadions, am Vorplatz des Westsektors, zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen Rapidfans und Ordnern, die auf Befehl der Polizei die Stadiontore sperrten und die sich noch im Stadiongelände befindlichen Personen einschlossen. Die Situation schaukelte sich auf, als diese das Stadion verlassen wollten und daran von Ordnern gehindert wurden, die mit Gewalt gegen die Fans vorgingen. Die Lage verschärfte sich und endete in einer Auseinandersetzung zwischen mehreren Ordnern und Fans. Als die Tore wieder geöffnet waren verließen alle Fans das Stadioninnere.
Weitere zwei (!) Stunden später, als sich die Lage schon völlig beruhigt hatte und viele Fans bereits auf dem Heimweg waren, holte die Polizei schließlich zu einem Schlag aus, der eine neue Qualität von Gewalt im Umgang mit Fußballfans in diesem Land markiert: im Bauch der Südtribüne hatten sich in der Aula beim Haupteingang Sondereinheiten von WEGA und ULAN gesammelt, stürmten ohne Vorwarnung in Kampfformation auf die Keißlergasse und attackierten unter massivem Einsatz von Pfefferspray und Schlagstock alles, was ihnen in die Quere kam, darunter auch Frauen und Kinder, ja sogar zivile Kollegen vom „Szenekundigen Dienst“. Der Grund für diese Eskalation? Wie sich später herausstellte, wurde einem Fan vorgeworfen, ein Nummernschild von einem Polizeiauto entfernt zu haben. Er war zwar von szenekundigen Beamten (SKBs) ausgeforscht worden und versprach, das Schild zu retournieren. Bevor er das tun konnte, griff aber die Polizei an. Jeder möge sich angesichts dieser Umstände sein eigenes Bild von der Verhältnismäßigkeit dieses Einsatzes machen. Wieder wurden die Beamten als Reaktion mit Wurfgegenständen beworfen, wobei auch einige Scheiben des Haupteingangs zu Bruch gingen. WEGA und ULAN zogen sich danach in das Stadioninnere zurück. Die Katastrophenzüge der Wiener Rettung mussten ausrücken und zahlreiche Verletzte erstversorgen, manche mussten zur Versorgung ins Spital gebracht werden.
Die Rechtshilfe Rapid forderte die Opfer danach auf, ihre Verletzungen mittels Gedächtnisprotokollen und Fotos zu dokumentieren und zur Verfügung zu stellen, was einige Betroffene auch taten. Aktivisten der RHR hatten während all dieser Vorfälle immer wieder versucht zu deeskalieren und waren bemüht, zwischen Fans, Vereinsmitarbeitern, Polizei und SKBs zu vermitteln. Letztere wurden jedoch wie berichtet selbst Opfer von Übergriffen ihrer Kollegen oder wurden einfach ignoriert und vereinzelt sogar von Beamten der Einsatzeinheiten beschimpft, was die Sinnhaftigkeit der SKBs als Instanz der Deeskalation doch einigermaßen in Frage stellt.
Die RHR will mit dieser Sachverhaltsdarstellung das Fehlverhalten einiger Fans keineswegs verharmlosen. Es gab wohl auch unter den Beamten und Ordnern Verletzte, Polizeiautos wurden demoliert und Scheiben gingen zu Bruch. Die Täter werden sich dafür verantworten müssen.
Wie schon beim Platzsturm und beim „Westbahnhof-Prozess“ stellt sich aber auch in dieser Causa einmal mehr die Frage der Verhältnismäßigkeit des Einsatzes der Staatsgewalt gegen Fußballfans:
Sondereinheiten stürmen mit Waffengewalt und verletzen dabei zahlreiche Unschuldige, nur um Sachbeschädigungen (Videokameras) und einen Diebstahl (Nummernschild) zur Anzeige zu bringen, oder ihr männerbündnerisches Ehrgefühl wiederherzustellen. Behörden betreiben mit Hilfe von APA und Boulevard eine tendenziöse Pressearbeit, um von ihren eigenen Verfehlungen abzulenken und/ oder die öffentliche Meinung für einen erneuten Prozess gegen als Landfriedensbrecher vorverurteilte „Gewalttäter“ (APA/derStandard.at) aufzubereiten. Zur Erinnerung: Um wegen §274 Landfriedensbruch verurteilt zu werden, müssen einer einzelnen Person keine strafbaren Handlungen nachgewiesen werden. Es genügt die bloße Anwesenheit an Orten, an denen Straftaten begangen werden. Der Willkür sind somit keine Grenzen gesetzt.
Eine Hundertschaft von Kriminalbeamten rückt fünf Monate später frühmorgens aus, um in vier Bundesländern zeitgleich 50 Menschen aus ihren Betten zu holen, oder sie an ihrem Arbeitsplatz öffentlich bloßzustellen, als handle es sich um Angehörige eines Drogenrings oder einer Terrorzelle. Fünf Personen wurden unter fadenscheinigem Vorwand in U-Haft genommen: denn wie kann fünf Monate nach dem Vorfall, der die Verhaftung auslöste, noch Verdunkelungsgefahr bestehen? Hätten die Beschuldigten inzwischen nicht genug Zeit gehabt, sich zu verabreden?
Die Tatsache, dass unter den Beschuldigten auch Personen sind, die nicht bei diesem Spiel und dem darauf folgenden Straßenfest waren, unterstreicht die Fragwürdigkeit dieser Polizeimaßnahmen.
Schließlich wird die Wohnung des Obmanns der RHR durchsucht und alle Computer und Datenträger beschlagnahmt. Eine NGO, die sich nachweislich mit ausschließlich legalen Mitteln gerade gegen behördliche Willkür zur Wehr setzt.
Wir verwehren uns entschieden gegen diese voreilende und pauschalisierende Kriminalisierung von Rapidfans, für deren menschenwürdige und gerechte Behandlung seitens der Behörden wir uns trotz dieser Repressionsmaßnahme auch weiterhin mit allen uns zur Verfügung stehenden legalen Mitteln einsetzen werden.
Der Vorstand und die Aktivisten des Vereins »Rechtshilfe Rapid« Hütteldorf, am 7. Februar 2014